Mord in der Harrer-Klinik - Leseprobe 2
Ilse bei der Pharlomo AG in Zürich
Ilse nimmt gern an und da dieser Apfel ihr den Mantel nicht abnimmt, muss sie das selbst tun und wirft ihn einfach über einen der freien Stühle. Sie dreht sich wieder zu dem Mann um und lässt bewusst ihre neuen Haare durch eine Kopfbewegung über die Schulter in den Nacken wehen. Apfel hat dafür keinen Blick übrig.
»Oh, Verzeihung, Frau von Meiningshaus, ich vergaß Ihren Mantel, das ist mir jetzt unangenehm.«
Du vergaßest deinen Anstand, Apfel, denkt sich Ilse.
Apfel scheint so knapp sechzig Jahre alt zu sein, mit Halbglatze und nicht sehr groß, vielleicht so eins siebzig. Er trägt einen biederen, unmodernen braunen Anzug und eine kleine randlose Brille. Aber sein Blick ist wach und scharf.
»Sie hatten ja nur grob umrissen, was Sie zu uns führt, Frau von Meiningshaus. Ist es richtig, dass Sie sich nur telefonisch ankündigten?« Apfel beginnt das Gespräch auf das Eigentliche zu lenken.
»Gewisse Geschäfte sollte man schnell und direkt angehen«, antwortet Ilse schlagfertig und sieht Apfel in die Augen, »zu viel Schriftverkehr ist dabei nur störend!«
Mit einer solchen Antwort hat Apfel offenbar nicht gerechnet, denn er zieht erstaunt seine Augenbrauen hoch, antwortet aber ebenso rasch zurück.
»Welche Art Geschäfte meinen Sie denn da genau?«, fragt er mit einem provozierenden Lächeln.
»Medikamente für die Armen«, so hatte Wenström sie instruiert, nur nicht »Dritte Welt« sagen, das mögen die Pharmaleute nicht.
»Große Mengen Medikamente«, fährt Ilse fort, »sehr große Mengen, Herr Apfel. Impfstoffe und Präparate für die klinische Anwendung. Aber natürlich nicht zu den Verkaufskonditionen hier bei uns und«, Ilse macht eine kurze Pause, »und möglicherweise nicht in der Qualität wie hier bei uns!« Bei dieser Antwort blickt Ilse an Apfel vorbei in den Innenhof. Sie spielt perfekt die arrogante Geschäftsfrau.
»Wir brauchen Impfstoffe gegen Polio, Tetanus, Diphtherie, gegen Masern, wir brauchen in der Klinik Schmerzmittel und wir brauchen jede Menge Lomophoin, ihr Produkt für die Thromboseprophylaxe.«
»Wer ist wir?« hakt Apfel ein und beugt sich zu Ilse hinüber.
»Ich und meine Vertragspartner in Zentralafrika und Südostasien. In Myanmar, in Laos und in Kambodscha, um konkret zu werden.«
Apfel setzt ein fast süßes Lächeln auf. »Liebe Frau von Meiningshaus, warum glauben Sie, sollten wir mit einer Unbekannten, wie Sie es sind, solche Geschäfte machen?«
Ilse beginnt ihrerseits zu lächeln, antwortet aber wieder sehr schnell und trocken: »Weil Sie Geld verdienen möchten, Herr Apfel«, und dabei tippt sie ihm mit dem Zeigefinger ganz leicht auf die Brust, »viel Geld, Herr Apfel, und weil Sie mit mir dieses Geld verdienen werden. Nein, nicht zweihundert, dreihundert Tausend, Herr Apfel, zweihundert oder dreihundert Millionen. Und in Euro, Herr Apfel, nicht in Franken!«
Apfels Augen sind weit aufgerissen und seine Brauen ganz oben. Er lehnt sich aber gleich gelassen in seinen Stuhl zurück und holt zum Gegenangriff aus.
»Frau Karla von Meiningshaus, warum glauben Sie, sind Sie hier empfangen worden? Weil Sie um einen Termin gebeten hatten? Telefonisch? Mit ihrer digitalen Visitenkarte? Zumindest liegt jetzt einmal eine Karte aus Papier vor mir!« Apfel ist konservativ. Ilse hatte gleich zu Anfang des Gesprächs eines ihrer frisch gedruckten Kärtchen vor Apfel auf den Tisch gelegt. Er keine von seinen.
»Nein, Frau von Meiningshaus. Wir haben uns natürlich über Sie erkundigt, nein, sagen wir, wir haben uns erlaubt, diskret einige Erkundigungen über Sie einzuholen. Wir machen keine Geschäfte mit Unbekannten, auch nicht, wenn es um viel Geld geht. Unser Ruf, Sie verstehen? Also: Ihre Anschrift ist so eine kleine Briefkastenfirma in Berlin! Ist es nicht so?«
Apfels Stimme wirkt bedrohlich und Ilse kann zweimal Schlucken nicht unterdrücken. Ihre Hände werden etwas feucht. Haben die was gerochen? Haben sie die Tarnung entdeckt oder will der Kleine sie wirklich nur testen. Ilse fängt sich aber schnell und bittet zur Überbrückung einer Pause, in der sie nachdenkt, um einen weiteren Espresso, während sie den Rest des ersten austrinkt.
»Meine Firma ist hier«, Ilse legt ihr nagelneues Smartphone vor Apfel auf den Tisch, »meine Firma ist da«, sie tippt auf ihre Visitenkarte, »und meine Firma ist auf der ganzen Welt dort, wo ich sie gerade brauche. Meinen Sie, Herr Apfel, ich kann mir bei der Art Geschäften, wie ich sie mache, ein schickes Büro mit Schaufenster am Kurfürstendamm erlauben?«
Walter Apfel ist von dieser messerscharfen Antwort jetzt doch verblüfft.
»Gut, Frau von Meiningshaus«, fährt er einlenkend fort, »das haben wir auch nicht unbedingt erwartet, aber Sie müssen verstehen, dass wir noch weiter nachgeforscht haben. Es gibt einen international anerkannten Experten für Pharmafragen in Deutschland, der ab und an für uns tätig ist und den wir jetzt erneut wegen ihrer Anfrage konsultiert haben. Wir vertrauen gewöhnlich auf seinen Rat.«
Wenström. Das kann nur Wenström sein, denkt sich Ilse.
»Ich will es kurz machen, Frau von Meiningshaus, und«, Apfel macht eine lange Pause, »wir sind interessiert.«
Ilse nippt an ihrem zweiten Espresso, den ihr eine Dame in dunkelrotem Kostüm gerade serviert hatte und stellt fest: »Ich habe nichts anderes erwartet.«
Mit dieser Antwort übertrifft sie sich selbst. Die Gesprächspartner verabreden sich für den nächsten Tag, um Details zu besprechen.
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